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Folge 076 Millionen - Mit § 15 SGB X (fast) zum Millionär (Rsp)

In dieser Folge behandele ich zwei Entscheidungen zum Thema Geld. Während es bei der Entscheidung des Landessozialgerichts NRW um Geld für dreimalige tägliche Notdurft geht, musste sich das Landessozialgericht Baden-Württemberg mit einen Anspruch in Höhe von 20 Mio. EUR auseinandersetzen. Ohne zu viel zu verraten: Beide Kläger erhielten den gleichen Betrag zugesprochen.

Intro:
Willkommen beim Betroyt-Podcast. Wissenswertes und Nützliches für alle rechtlichen Betreuer von und mit Rechtsanwalt Roy Kreuzer.
Hauptteil:
Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge des Betroyt-Podcast. Dem Podcast für rechtliche Betreuer. Ja, eine neue Woche ein neuer Podcast heute wieder Mittwoch. Schön, dass Sie heute wieder zuhören.
Worum geht es heute?
Wir widmen uns der Rechtsprechung. Und ich habe mir zwei Entscheidungen rausgesucht, die ich, ja, spannend fand bzw. auch erheiternd, denn man kann ja nicht nur den ganzen Tag nur mit schlechter Laune im Büro sitzen, sondern man muss natürlich auch ein wenig die Lachmuskeln trainieren.
Und das machen wir gleich mit unserer ersten Entscheidung, aber danach möchte ich noch auf ein Institut hinweisen, was vielleicht den meisten von ihnen gar nicht so bekannt ist aber, wie es auch neben der Vertretung im All Rechtsschutz eine Möglichkeit gibt, einem Betroffenen zu helfen und das würde ich anhand einer anderen Entscheidung gerne mal vorstellen.
Doch bevor ich das mache, möchte ich noch mal auf den Betroyt-Stammtisch eingehen. In der letzten Woche, am 17.2.2022, hatten wir wieder eine Veranstaltung, und ja aus meiner Sicht wieder großartig.
Viele interessante Fallkonstellationen, die wir besprochen haben, die einige schon kennen und andere ganz neu kennenlernen durften im Rahmen ihrer Praxis, also ein super Austausch sehr kollegial. Jedem, der noch nicht dabei ist, kann ich nur empfehlen auch teilzunehmen. Einfach eine E-Mail an stammtisch@betroyt.de senden.
Dann schreibe ich zurück und werde Sie in den Verteiler mit einpflegen, und dann bekommen sie für den 17.3.2022, dass mich unser dritter Stammtisch, eine Woche vorher eine Nachricht als Erinnerung, dass sie mir noch mal die neuesten Fälle bzw. die von Ihnen auf aufkommenden Fragen zuschicken und, geplant am Dienstag vor dem Termin am Donnerstag, dann den Link zu der Veranstaltung. Um 16 Uhr geht’s wieder los am 17.3.2022.
Ich würde mich freuen, wenn wir ja noch mehr werden bzw., wenn es sich vielleicht ein bisschen mischt in der Gruppe. Es muss nicht immer jeder dabei sein. Der Vorteil eines solchen Stammtisches ist ja, dass man nicht zwingend, immer kommen muss aber sehr gern gesehen ist.
Genau, soviel dazu, kommen wir aber nun zum Hauptthema also zu den Rechtsprechungen in dieser Folge.
Und die erste Entscheidung, die ich besprechen möchte, ist vom Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen.
Hier geht es darum, also ich lese einfach mal die Zusammenfassung vor.
Der Kläger ist Rentner und bezieht aufstockende Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB XII das heißt:
• nicht mehr Erwerbsleben,
• Rentner.
 und somit SGB XII-Leistungsempfänger (Sozialhilfe).
Er machte bei der beklagten Stadt Essen, gegen die ist er jetzt vorgegangen, geltend, er müsse dreimal täglich außer Haus eine Toilette aufsuchen. Kostenlose öffentliche Toiletten habe die Beklagte schon vor langer Zeit abgeschafft. Im Durchschnitt kostet jeder Toilettenbesuch 2 €. Auf 30 Tage errechnet sich ein zusätzlicher Bedarf in Höhe von 180 € pro Monat.
Mit großer Überraschung wies das Sozialgericht Duisburg die Klage ab.
Ja, nun ging es in die Berufung und auch das Landessozialgericht hat entschieden, geht nicht, kommen wir nicht ran. Es fehlt die Rechtsgrundlage.
Das war so einer der Hauptgründe, worauf man sich dann bezogen hat. Also, man ging noch darauf ein, ein ernährungsbedingter Mehraufwand aus medizinischen Gründen, dass man das mit einer teleologischen Reduktion (Teleologische Reduktion | jurAbisZ.de), also dass man das verändern könnte. Das würde denn nicht greifen, da die Regelung des Gesetzgebers abschließend sei, Regelungslücken gibt’s nicht, das heißt in dem Fall:
Ja, was macht man da? Es ist dann nicht mitberücksichtigt bzw. geht der Gesetzgeber denn davon aus, muss er die Entscheidung so lesen, dass das Pipi machen in der Umwelt vom Regelsatz gedeckt ist?! … Und eine Abweichung gibt’s nicht.
Das Gericht führt weiter aus, der Kläger sei nach seiner eigenen Schilderung altersentsprechend gesund und weise daher keine überdurchschnittliche Notwendigkeit von Toilettengänge auf. Der geltend gemachte Aufwand liege jenseits des üblichen Verhaltens der Durchschnittsbevölkerung und sei da eine Frage der Freizeitgestaltung. Im Regelsatz seien für die Bereiche Freizeit, Kultur, Gastronomie, Beherbergung sowie andere Waren-Dienstleistungen Anteile enthalten. Wie der Kläger das Geld einsetze, liege in seinem Verantwortungsbereich. Also, er könne sich jetzt quasi entscheiden, ob er sich für die 2 € ein Eis kauft oder auf Toilette geht.
Das lasse ich mal so stehen. Bei Personen, die zum Lebensunterhalt im Alter Grundsicherungsleistungen benötigen, muss nicht jeder Freizeitgestaltungswunsch bezahlt werden. Die Entscheidung wird nicht besser, je weiter man sie liest.
Ja, und das Gericht sagt noch, es spielt keine Rolle, wie die Situation vor Ort ist. Also, ob es denn da halt nur Toiletten gibt, die man bezahlen muss, oder nicht.
Das vielleicht so weit, was den Urinstau der Nordrhein-Westfalen angeht. Wie gesagt, ein kleines Schmunzeln muss man da immer, auf den Lippen haben, wenn man diese Entscheidung liest.

Das allerdings so quasi nur als Warm-up für die Entscheidung, die wir uns heute angucken wollen bzw. eine Norm aus dem SGB X, die wir uns anschauen.
Worum ging es in der zweiten Entscheidung?
In der zweiten Entscheidung, bitte schalten Sie jetzt nicht gleich ab, da wandte sich der Kläger gegen die Versagung von Leistungen nach dem OEG, das Opferentschädigungsgesetz, wegen fehlender Mitwirkung. Denn der Kläger machte einen Anspruch eine Forderung in Höhe von 20.000.000 Euro aus nicht näher konkretisierten 20.000 Einzel-Übergriffen zu je 1000 € geltend.
Da fragt sich der geneigte Hörer, hat ja noch alle? Genau und das hat sich nämlich auch hier das Gericht gefragt bzw. auch leider nicht die Behörde. Das wird jetzt nämlich auch noch ein Problem, das heißt: Er könnte jetzt vielleicht doch einen Betreuer gebrauchen. Und das Ganze wurde nämlich dann auch angeregt, und in dem Verfahren vor dem Amtsgericht, dem Betreuungsgericht, bestätigt. also auch bestätigt vom Landgericht wurde der noch vor Beginn des Verfahrens des Opferentschädigungsverfahren ein Betreuer für den Kläger bestellt.
Er wehrte sich jetzt gegen in diese Entscheidung, und sagte, nein ich brauche keinen Betreuer. Ich kann das alles selbst, und er begründete es damit, dass es eine Verdachtsdiagnose gewesen sei, aufgrund dessen eine Entscheidung für den Betreuer gefallen ist. Nichtsdestotrotz bedeutet das, dass die der Betreuer abgelehnt wurde und im Wesentlichen darauf abgestellt wurde, dass der Kläger unbetreubar sei. Es gibt diese Fälle. Die sind selten, aber es gibt unbetreubare Klienten.
Wo lag jetzt die fehlende Mitwirkung, die in den Fall gefordert wurde, bzw. die Mitwirkung, die gefordert wurde?
Und zwar liegt die in dem Vertreter, der von Amts wegen bestellt wird. Es gibt die Möglichkeit, dass wenn jemand nicht in der Lage ist, seine Rechte durchzusetzen, dann von Amts wegen jemand bestellt wird, genau, dafür ist eigentlich das Betreuungsgericht zuständig. Das muss unabhängig von einer Betreuung gesehen werden. Das heißt, es gibt zwei Verfahren. Um es vielleicht deutlich zu machen, wenn sie jetzt nicht gerade am, Autosteuer oder beim Joggen sind dann können Sie sich jetzt den § 15 SGB X aufschlagen. Dort ist die Bestellung eines Vertreters von Amts wegen geregelt. Das bedeutet, ist ein Vertreter nicht vorhanden, also, gibt es keinen Vertreter, das heißt: Ist man der Meinung, die Person muss eine Vertretung haben, dann hat das Gericht auf Ersuchen der Behörden, einen geeigneten Vertreter zu bestellen, wenn die Person, ein Beteiligter, der Folge einer psychischen Krankheit oder körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung nicht in der Lage ist, in dem Verwaltungsverfahren selbst, tätig zu sein. Das heißt, gibt es ein Verfahren, in dem die Person nicht selbst handeln kann, weil, wie der Betroffene die Sachen vielleicht ein wenig verkennt, um es mal so zu sagen, dann kann von Amts wegen auch ein Vertreter bestellt werden.
Für, und das sagt § 15 Abs. 2 SGB X, für die Bestellung des Vertreters ist in den Fällen des Abs. 1 Nr. 4 SGB X, also in den Fällen, die wir gerade besprochen haben das Betreuungsgericht zuständig, in dessen Bezirk der Beteiligte seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Das heißt, wenn jemand also aus psychischen Gründen nicht in der Lage ist, seine Vertretung vorzunehmen, in ein Verfahren was läuft oder was anhängig ist, dann kann man ihm quasi jemanden schnell zur Seite stellen. Wie gesagt, unabhängig vom Verfahren nach §§ 1896ff BGB. Das heißt, bis dahin kann derjenige dann handeln, also in dem Fall wurde auch eine Rechtsanwältin bestellt, die sich mit den Sachen auskennt, und das ganze Verfahren wurde dann vor dem Gericht, denn das hat nicht die Behörde gemacht, sondern es wurde denn erst vor dem Gericht diese von Amtswegen bestellte Person, im Prinzip beigeordnet. Diese hat das Verfahren dann begleitet, und es ist allerdings und so viel muss man zu der Entscheidung der sagen, es ist nicht schädlich, dass das Amt, das in dem Fall jetzt nicht gemacht hat, denn hätte ohnehin nichts gebracht. Also so viel jetzt etwas flapsig formuliert.
Um es mit den Worten des Landessozialgerichts Baden-Württemberg, die das Ganze mit Urteil vom 14.01.2021 entschieden haben. Sie sagten: der Kläger sei zur Überzeugung des Senates nicht geschäfts- und prozessfähig. Trotz bestehendem Handlungsbedarf fehle es vorliegend an der Erforderlichkeit einer Betreuung, da diese zu keinerlei Änderung der Situation führen könne. Übereinstimmend mit dem Landgericht sei eine Unbetreubarkeit des Klägers anzunehmen. Der Verfahrensablauf belege, dass die Bestellung eines Betreuers im Verwaltungsverfahren, also bereits früher, die Stellung des Klägers nicht hätte verbessern können. Zwar könne diese als Zustellungsbevollmächtigter fungieren. Zur Präzisierung der behaupteten schädigenden Einwirkungen, was der Kläger nachhaltig verweigere und sich stattdessen in Verschwörungstheorien ergehe, könnte aber auch ein Betreuer ebenso wenig beitragen, wie die besondere Vertreterin, die vom Kläger nicht in die Lage versetzt worden sei, zum eigentlichen Sachverhalt sinnvoll vorzutragen.
Und aufgrund der Unbetreubarkeit des Klägers sei dem Beklagten noch nicht vorzuwerfen nicht nach 15 SGB X vorgegangen zu sein.
Das heißt, in dem Fall wurde gesagt, liebe Behörde, den Vertreter früher einsetzen, hätte nichts gebracht, denn das Ergebnis wäre genau dasselbe gewesen.
Kann man so sehen…
Deswegen wird hier noch darauf verwiesen, dass im Gerichtsverfahren zur Wahrung der Verfahrensrechte ein besonderer Vertreter bestellt werden kann.
Das ist, wenn man die ganze Entscheidung liest, wir stellen dir mal pro forma jemanden daneben. Wir wissen ganz genau eigentlich, dass das nicht wirklich was bringt, aber damit sind die prozessualen Ansprüche an den Prozess erfüllt. Anders kann man diese Entscheidung jetzt so nicht lesen.
Aber, wie sagt, noch mal gerne mitgenommen, ist der § 15 SGB X als Norm, die man dann auch vielleicht, wenn ein Verfahren schon etwas länger läuft, und man erst viel später in dieses ganze Verfahren hineinkommt, kann man vielleicht im Rahmen der Rechtsmittel noch mal versuchen, ja das als Anspruch zu nehmen, also wenn man in der, ja eine Berufung bzw. wenn man denn sich die einzelnen Entscheidungen die vielleicht den ein Betroffener, den man den später betreut, gegen sich gelten lassen muss, und man hat er noch Fristen, um gegen Entscheidungen vorzugehen, dass man das vielleicht jetzt Argument noch mit eingreifen kann. Wie gesagt, aus meiner Sicht ist diese Norm nicht groß bekannt.
Wenn jetzt alle sagen, ja klar § 15 SGB X ist das Erste, was ich prüfe, wenn ich eine Betreuung kriege, dann sind sie natürlich ein Stück weiter als ich, aber wie sagt, ich würde sagen, die Norm ist nicht so landläufig bekannt.

Sicher teilt das rechtliche Verfahren, dafür ist es da, als Prozess Norm deswegen steht auch im SGB X, da sind die Regelungen getroffen zum Ablauf eines ordentlichen Verfahrens,
Ja, das war es auch eigentlich wieder für heute. Zwei kleine Entscheidungen, die Ihnen hoffentlich in den Tag so ein bisschen versüßen.
In der nächsten Woche hören wir uns dann wieder mit ein paar Basics.
Und vielleicht melden Sie sich zum Stammtisch an oder sie sind schon, dann freue ich mich, wenn wir uns am 17.03.2022 sehen. Ansonsten bleiben Sie gesund, sorgen Sie sich gut um ihre Schützlinge und ich freue mich aufs nächste Mal bis dahin.
Outro
(Musik)

BETROYT – Stammtisch

Werden Sie Teil des Betroyt-Stammtisches. Jeden zweiten Donnerstag treffen wir uns via Zoom und besprechen knifflige Fälle von Kollegen und Kolleginnen und beraten über Fragen, die uns selbst jeden Tag treffen können. Wie Sie sich anmelden können? Einfach eine Email an stammtisch@betroyt.de. Sie erhalten dann eine Bestätigung über die Teilnahme. Ich freu mich, Sie zu sehen.

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